Sunday, 12 October 2008

God save the Queen

written in may 2008

Wurdest du schon einmal von Polizisten ausgelacht, die selbstverständlich bei Rot eine Straße überquerten, während du auf der anderen Straßenseite brav auf Grün gewartet hast? Wurdest du schon öfters fast von Autos angefahren, die aus der falschen Richtung kamen? War dir schon einmal übel, nachdem du Essigchips und dunkelbraune Hefepaste gegessen hast?
Hast du dich schon mal gewundert, dass du um Mitternacht kein Bier in einer Kneipe bekommst, mit der Begründung, die Bar mache jetzt zu?

Wenn du diese Fragen mit „nein“ beantworten kannst, dann hast du wohl noch nie die Verrücktheit der Engländer am eigenen Leibe gespürt. Diese geben es sogar zu, anders zu sein, denn in ihrer Nationalhymne sagen diese ja selbst: „God, save the Queen.“
Von den Klischees braucht man hier gar nicht erst anfangen. Klischees heißen Klischees, weil sie Klischees sind und würden sie Tatsachen sein, dann würden wir sie Tatsachen nennen.

Das regnerische Wetter in England? Ein Klischee. Der englische Humor? Ein Klischee. Die Pünktlichkeit? Ein Klischee. Das schlechte Essen? Eine Tatsache.
Salz kennen Engländer nicht. Chips, Popcorn und Pommes Frites ohne Salz machen jedes Essen zum langweiligsten Ereignis des Tages. Gerne jedoch benutzen sie aber Essig, welches sich dann in Brotaufstrichen, Chips und jeder warmen Mahlzeit befindet. Ganz beliebt ist Marmite, eine dunkelbraune Hefepaste, die scharf und sehr streng schmeckt. Diese gibt es aber eher zum Mittag, denn sein warmes Frühstück mit Eiern, Speck, Bohnen und Würstchen kann man keinem Engländer nehmen. Kein Wunder, bei der englischen Brotqualität. Dazu gibt es dann Tee gemischt mit Milch. Engländer sind stolz auf ihr Essen und können gar nicht verstehen, wie man behaupten kann, es sei schlecht. Wer in England bei den dort vorhandenen deutschen Supermarkt-Ketten Lidl oder Aldi einkaufen geht, wird von anderen mit einem Naserümpfen begrüßt. Dabei ist auch ein englischer Supermarkt wie Tesco oder Sainsbury’s mit beliebten Produkten von Dr. Oetker, Kühne und Müller überfüllt.

Schon in solchen Supermärkten selbst zeigt sich die Andersartigkeit der Engländer.
Hunderte von Menschen quälen sich durch die Gänge, auf der Suche nach den besten, leckersten oder eben auch billigsten Nahrungsmitteln. Bei diesem Gedränge schafft dieses Volk es trotzdem, sich niemals zu berühren oder in den Weg des anderen zu kommen. Wenn dann doch einmal so ein deutscher Student, wie ich, in all seiner Hektik mit dem Einkaufswagen in den eines anderen Käufers fährt oder auf dessen Fuß tritt, dann entschuldigt sich der Engländer, dafür, dass er im Weg war – und das ohne Ironie. Nachdem man eine halbe Stunde brav und geduldig an der Kasse angestanden hat – denn das scheint die Lieblingsbeschäftigung dieser Inselbewohner zu sein – wird einem der Einkauf von den Verkäufern in viele kostenlose Einkaufstüten eingepackt. Es ist dort Gewohnheit, nicht mehr als fünf Nahrungsmittel in einen Beutel zu packen. So werden laut NTV im Jahr etwa drei Milliarden Plastiktüten an Konsumenten verteilt. Bei einem Großeinkauf kommen dann auch schon mal 20 Beutel zusammen, die dann in einem Einkaufswagen zum Auto transportiert werden. Hat man kein Auto, dann muss man sich eben mit den vielen kleinen Tütchen zu Fuß auf den Weg nach Hause machen.

Da dieser Einkauf so schwer ist, versucht man so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, ohne die Verkehrsregeln zu beachten. In England geht man sehr gerne bei Rot über die Straße. Diese sehr undeutsche Verhaltensweise hat sogar einen Namen: Jaywalking. Als Deutscher dreht man sich doch noch mal dabei um, denn auch wenn keine Autos in der Nähe sind, hält man nach einem Polizisten Ausschau, denn wenn man bei Rot über eine Ampel läuft, begeht man eine Straftat. Zumindest in Deutschland. In England hat diese Tätigkeit nicht nur einen eigenen Namen, sondern ist auch noch legal. Gefährlich eine Straße zu überqueren, ist es dann doch. Zwar fällt die Geldstrafe weg, aber dafür muss man sich vor den Geisterfahrern in Acht halten. Die Engländer bevorzugen es, auf der falschen Straßenseite zu fahren, obwohl sie darauf bestehen, dass diese „falsche“ Seite die eigentlich „richtige“ sei – nur der Rest Europas hätte das eben noch nicht erkannt. Und da den Engländern dieser europäische Irrtum bewusst ist, haben sie zumindest in ihrer Hauptstadt an jeder Straßenüberquerung die Worte „look left“ oder „look right“ auf den Asphalt geschrieben. Für mich als Deutsche ist die Beteiligung im Straßenverkehr auch als Fußgänger ein Risiko.

Habe ich es dann unfallfrei ins Studentenwohnheim geschafft, geht es mit der englischen Verrücktheit gleich weiter.
Während in Deutschland Jugendliche ihre Rock’n’Roll-Jahre in der Schulzeit durchleben, geht das in England im Studium erst so richtig los. Noch vor dem Abendbrot bzw. Abendessen, denn Engländer würden niemals Brot am Abend essen, gibt es schon die ersten zwei Guinness und danach geht es dann mit Cannabis und Pillen weiter. In so einem Rausch wird dann gut und gerne mal der ganze Campus in Toilettenpapier eingehüllt. Volljährige Studenten veranstalten so im Sommer eine Schneeballschlacht, schmücken Bäume weiß und kugeln sich im Papier. Wenn das Toilettenpapier mal ausgeht, werden eben so viele Studenten wie möglich zusammengerufen um eine riesige Party im Wohnheim zu veranstalten. Gegen hunderte betrunkene, bekiffte und gedopte Studenten in Partylaune kann auch ein kleiner Wachmann nichts machen. Die Idee mit dem Feueralarm, als Mittel, die Studenten zu entfernen, war ja erstmal nicht schlecht, hätte die Feuerwehr, die dann anrückte, nicht mitgefeiert. So wurde mit englischen Feuerwehrmännern Bier getrunken, Fotos gemacht und wenn man einen ganz kurzen Minirock anhatte, durfte man auch mal die Feuerwehrsirene aufheulen lassen.

Will man diesem Wahnsinn entfliehen, versucht man einen ruhigen Abend im Pub zu verbringen. Dort ist wenigstens Rauchverbot, somit auch Joint-Verbot. Als Frau wird man etwas schief angeschaut, bestellt man sich ein Bier. Erwähnt man aber, dass man aus Deutschland kommt, wird einem ein verständnisvolles Nicken entgegengesetzt. Mittlerweile werde ich schon die Beer Lady genannt. Um wieder mal ein bekanntes Klischee umzustoßen, muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass niemand anfängt, schlechte Hitler-Witze zu erzählen, wenn man sich als deutsche outet. Auch Fußball ist da ein seltenes Gesprächsthema. Nein. Geduldig muss man sich immer wieder Geschichten vom Oktoberfest anhören. Und dann wird noch erwartet, dass man als Deutscher von seinen lustigen Erfahrungen während des Festes schwärmt, als wenn es in Deutschland keine andere Möglichkeit gäbe, sich zu amüsieren. In einigen Teilen Deutschlands wird ja sogar behauptet, Bayern wäre Ausland. Das erklär’ mal einem Engländer.

Wenn man Pech hat, findet dieses Gespräch mehrmals am Abend statt, denn im Pub redet man nicht nur mit einer Person. Engländer sind ein sehr offenes Völkchen, die ihren Small Talk mit wildfremden Menschen lieben.
Gerettet wird man dann spätestens um Mitternacht von der Glocke, die geläutet wird, um ein Signal zu geben, dass das letzte Bier ausgeschenkt wird. Danach machen alle englischen Barkeeper Feierabend.

Ist man dann noch nicht betrunken genug, kann man in die Nachtclubs weiterziehen. Zum Tanzen scheint dort niemand hinzugehen. Versucht man es doch, wird man von allen Seiten angesprochen oder sogar angefasst. Zumindest die Männer sind in England offener…oder auch aufdringlicher. Von wegen die Engländer seien steif! Wenigstens braucht man kein Geld für Getränke bezahlen, denn das übernehmen die Männer für einen. Am Anfang habe ich geglaubt, diese seien auch noch naiv, denn nannten sie mich gleich schon „babe“, „sweetheart“ und „darling“ und sprachen schon am ersten Abend des Kennenlernens von Liebe. Bei näherer Beobachtung fiel mir allerdings auf, dass sie das zu jeder Frau sagen und so verschwindet dann auch jedes schlechte Gewissen, das man bekommt, wenn man meint, man bräche so vielen Männern das Herz.
In diesem Chaos habe ich schon einige Überlebensstrategien entwickelt:
Ich habe jetzt schon herausgefunden, wo es bestimmte deutsche Produkte gibt und den Rest lasse ich mir von zu Hause schicken, um einer Lebensmittelvergiftung zu entgehen.

An die verkehrte Welt des Verkehrssystems gewöhnt man sich sehr rasch. Gefährlich wird es dann nur, wenn man mal wieder in Deutschland zu Besuch ist.
Will man unter den noch pubertierenden Studenten ohne Kulturschock überleben, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich genauso zu benehmen. Illegale Drogen lässt man dann eben weg und bemitleidet die Armen gleichzeitig, dass diese sich Substanzen zuführen müssen, um so fröhlich zu sein. Dabei ist diese englische Ausgelassenheit schon allein eine Sucht – meine deutschen Freunde halten mich zumindest jetzt alle für verrückt.

In den Pubs erzähl ich einfach, ich käme aus Österreich und wenn ich das nächste Mal Lust zum tanzen habe, gehe ich einfach in einen Schwulenclub.
Ich hoffe, die Queen hat diese Strategien schon längst erkannt und verinnerlicht, ansonsten liegt es wirklich an Gott, sie zu retten.

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